Rechtsschutz in klaren Fällen

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Art. 257 ZPO definiert den Rechtsschutz in klaren Fällen. Es handelt sich dabei um ein spezielles summarisches Verfahren: Als Vorbild für dieses Rechtsmittel dient das sog. Befehlsverfahren. Sutter-Somm, Schweizerisches Zivilprozessrecht, N 917:

Das Befehlsverfahren gelangt häufig bei Mietausweisungen, Besitzesschutzklagen (vgl. Art. 927 ff. ZGB) sowie bei der Durchsetzung materiell-rechtlicher Auskunftsanspruche zur Anwendung (vgl. z.B. Art. 400 Abs. 1 OR; Art. 170 ZGB). Zu beachten ist allerdings, dass die Kantone statt des Befehlsverfahrens für den Besitzesschutz auch vorsorgliche Massnahmen zur Verfugung stellen konnen. Denn es ist Sache des kantonalen Rechts, fiir Klagen aus Besitzesentziehung (Art. 927 ZGB) oder Besitzstorung (Art. 928 ZGB) das Verfahren zu regeln (vgl. BGE 94 II 348 ff., 351 E. 2).

In der Anwaltsprüfung kommt es oft vor, dass die Kandidaten ein Gesuch um Mieterausweisung (Exmissionsgesuch) zu verfassen haben. Der Exmission liegen meist folgende drei Sachverhalte zu Grunde:

  1. M(ieter) und V(ermieter) haben am 1.1.2009 einen Mietvertrag über eine Wohnung abgeschlossen. V kündigt den Vertrag am 15.7.2009 per 31.10.2009 mittels amtlich genehmigtem Formular. M ficht die Kündigung nicht an. Ein Augenschein des Vermieters am 1.11.2009 bestätigt, dass M die Wohnung nicht zu verlassen beabsichtigt.
  2. Variante zur Ziff. 1: Bereits nach Einzug in die Wohnung bezahlt M die Mietzinse nicht. Sie sind jeweils im Voraus für den nächsten Monat geschuldet. Am 3.2.2009 setzt der V schriftlich eine Zahlungsfrist von 30 Tagen und droht mit Kündigung des Mietverhältnisses im Falle der Nichtbezahlung. M lässt die Frist unbenutzt ablaufen. Am 15.3.2009 kündigt V mittels kantonalem Formular den Mietvertrag per 30.4.2009. M verlässt auch danach die Wohnung nicht.
  3. X bewohnt ohne entsprechendes Recht die Villa des E und lässt sämtliche Aufforderungen des E, die Villa zu verlassen, unbeantwortet.

Die Rechtslage in allen Fällen ist klar: M bzw. X haben keine Rechtsgrundlage zum Verbleib in der Wohnung bzw. Villa. Es stellt sich nun die Frage, welche Rechtsmittel dem Vermieter (in den Fällen 1 und 2) und dem Eigentümer (im 3. Fall) zur Verfügung stehen und zur sofortigen Wahrung der Interessen geeignet sind. In Betracht kommen Art. 257 ZPO (Rechtsschutz in klaren Fällen) und Art. 261 ff. ZPO (vorsorgliche Massnahmen).

Unterschied

Die beiden Rechtsmittel unterscheiden sich im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht:

  1. Art. 257 ZPO setzt einen unbestrittenen Sachverhalt voraus oder sofortige Beweisbarkeit. Für vorsorgliche Massnahmen nach Art. 261 ZPO genügt die Glaubhaftigkeit.
  2. Die Gutheissung des Gesuchs im Fall von Art. 257 ZPO entfaltet die gleiche Rechtskraftwirkung (res iudicata) wie ein Entscheid im ordentlichen Verfahren. Einem Entscheid betreffend vorsorglicher Massnahmen kommt keine Rechtskraftwirkung zu: dem Gesuchsteller kommt die Proessequierungspflicht zu (Art. 263 ZPO).

Besonderheiten von Art. 257 ZPO

Ein Verfahren nach Art. 257 ZPO kann zu drei denkbaren Ergebnissen führen:

  1. Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.
  2. Das Gesuch wird abgewiesen.
  3. Das Gesuch wird gutgeheissen.

Ad Ziffer 1: Dies ist insbesondere im Falle der Illiquidität Fall, z.B. weil entsprechende Beweismittel fehlen oder weil der Gesuchsgegner glaubhafte Einwände im Rahmen der Vernehmlassung vorbringt. Dazu §226 ZPO ZH (Befehlsverfahren):

§ 226 – Illiquidität

Fehlt es im Fall von § 222 Ziffer 2 an klarem Recht oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen, so tritt der Richter auf das Begehren nicht ein. Dem Kläger steht die Klage im ordentlichen Verfahren offen.

Meines Erachtens steht also dem Gesuchsteller das ordentliche oder vereinfachte Verfahren offen, wenn das Gericht auf sein Gesuch nicht eintritt. Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen des ordentlichen Prozesses auch vorsorgliche Massnahmen beantragt werden können. Übrigens, Art. 63 ZPO gilt auch hier.

Ad Ziffer 2: Ein Abweisungsentscheid entfaltet volle Rechtskraft. Dabei muss der Gesuchsbeklagte liquid nachweisen können, dass das Recht nicht besteht (Sutter-Somm, N 920). Die Beweishürde ist also auch für den Gesuchsgegner hoch: Erforderlich ist der liquide Gegenbeweis.

Ad Ziffer 3: Volle Rechtskraftwirkung – res iudicata

Sutter-Somm, N 925:

Bloss haltbare Bestreitungen des Gesuchsbeklagten, die am liquiden Nachweis der Sachlage des Gesuchstellers nichts zu ändern vermögen, führen zur Gutheissung des Gesuchs. Macht der Gesuchsbeklagte glaubhaft Einwände gegen die Berechtigung des Gesuchs geltend, so führt dies zu einem Nichteintretensentscheid (Art. 253 Abs. 3 E ZPO). Weist der Gesuchsbeklagte sofort liquid nach, dass das Gesuch unbegründet ist, so ist das Gesuch abzuweisen. [Hervorhebungen durch HZ]

Zur Exmission

In eingangs genannten Fällen wird V und E gelingen, denn vollen Beweis zu erbringen. In den ersten 2 Fällen genügt es nachzuweisen, dass die gesetzlichen Formalitäten eingehalten sind. In der Praxis wird das eingeschriebene Mahnschreiben zusammen mit der Kündigung mittels amtlichem Formular hinreichend genügen. Dem M steht der volle Gegenbweis nicht zur Verfügung. Allenfalls (und es dürfte selten der Fall sein) stünden dem Mieter glaubhafte Einwände formeller Natur zu, wie etwa mangelnde Kündigung des Ehegatten etc.

Im dritten Fall würde es genügen, wenn der Eigentümer sein Eigentumsrecht nachweist, beispielsweise mittels Grundbuchauszug. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass in solchen Fällen eben das Eigentumsrecht umstritten ist. Sollte dies zutreffen, dann hätten wohl beide Parteien den sofortigen Urkundenbeweis nicht zur Verfügung, so dass das Gesuch um Rechtsschutz in klaren Fällen zurückgewiesen wird.

Fazit: In den meisten Fällen der Exmission kommt Rechtsschutz in klaren Fällen zur Anwendung.

Exkurs

Suter-Somm, N 921 zum Befehlsverfahren:

Auch innerhalb des Befehlsverfahrens können vorsorgliche Massnahmen gestellt werden. Prozesstaktisch ratsam ist oft folgendes Vorgehen: Stellung eines Befehlsbegehrens verbunden mit dem Antrag auf vorsorgliche Massnahmen im Rahmen dieses Befehlsverfahrens, gefolgt von einem Eventualantrag, wonach bei Vorliegen von Illiquiditat bereits vorsorgliche Massnahmen im Hinblick auf das noch einzuleitende ordentliche Verfahren beantragt werden.

Es fragt sich, ob diese Ausführungen auch für die eidg. ZPO gelten. Meines Erachtens spricht nichts dagegen. Vor diesem Hintergrund komme ich zum Schluss, dass der Vorsichtige Anwalt im Falle der Exmission mittels Rechtsschutz in klaren Fällen folgende Rechtsbegehren stellen würde:

  1. M sei anzuweisen, die Wohnung des V an der XY-Str. innert richterlich zu bestimmender Frist zu verlassen, unter Androhung der Folgen nach Art. 343 ZPO.
  2. Im Sinne einer vorsorglichen Massnahme sei M anzuweisen, die Wohnung des V an der XY-Str. innert richterlich zu bestimmender Frist zu verlassen, unter Anordnung erforderlicher Vollstreckungsmassnahmen nach Art. 267 i.V.m. Art. 343 ZPO.
  3. Eventuell: Im Falle der Rückweisung des 1. Antrages hiervor seien die vorsorglichen Massnahmen gemäss Ziffer 2 hiervor mit Blick auf das noch einzuleitende ordentliche Verfahren anzuordnen.
  4. KEF

Ich bin gespannt, ob diese Vorgehensweise in der Praxis klappt.

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