Die Zeit als Strafmilderungsfaktor

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Art. 48 lit. e StGB trägt dem Verjährungsgedanken bei der Strafzumessung Rechnung. Diese Bestimmung hat allerdings nichts mit Verfahrensdauer, mithin mit Beschleunigungsgebot zu tun. Das Bundesgericht erläutert in BGer 6B_1087/2009 vom 15.3.2010 diesen Unterschied:

Der Berücksichtigung von Verfahrensüberlängen liegt der Gedanke zugrunde, dass Strafverfahren für die Betroffenen eine Belastung darstellen, welche durch Verzögerungen unnötig in die Länge gezogen werden. Die Ratio der Verjährung liegt demgegenüber namentlich in der heilenden Wirkung des Zeitablaufs, welche das Strafbedürfnis vermindert. [...]

Verzögerungs- und Verjährungsüberlegungen müssen nicht zusammenfallen. So kann ein weit zurückliegendes Delikt erst kurz vor der Verjährung entdeckt, das Verfahren dann aber sehr rasch durchgeführt werden.

Wie kann nun die lange Verfahrensdauer strafmildernd auswirken? More

Sistierung des Verfahrens vor BGer bis zum Entscheid des EGMR?

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Verständlich, aber doch peinlich, wenn das Bundesgericht in BGer 6B_1097/2009 vom 15.3.2010 den Verfahrensantrag auf Sistierung mit folgender Begründung abweist:

Das Gericht kann aus Gründen der Zweckmässigkeit das Verfahren aussetzen, insbesondere wenn das Urteil von der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit beeinflusst werden kann (Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Zivilprozess [BZP; SR 273] i.V.m. Art. 71 BGG). Auf eine Sistierung besteht mithin kein Rechtsanspruch. Der Zeitpunkt des Entscheids des EGMR erscheint ungewiss. Unter diesen Umständen ist eine Sistierung des Verfahrens nicht zweckmässig.

Verständlich deshalb, weil der Entscheid des EGMR tatsächlich Jahre in Anspruch nehmen kann. Aber auch peinlich, denn es liegt eben jener gesetzlich explizit erwähnter Fall vor, wenn das Urteil des Bundesgerichts von einem anderen Rechtsstreit beeinflusst wird. Nur weil der Zeitpunkt des EGMR-Entscheides ungewiss ist, ändert an dieser Beeinflussung nichts.

Nice to know: BGG enthält keine Bestimmung zur Sistierung. Sie erfolgt in Verbindung mit BZP.

Geldstrafe vs. Freiheitsstrafe

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Im gestern veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts BGer 6B_721/2009 vom 18.2.2010 geht es unter anderem um die Frage, welche Sanktionsart für Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr zu wählen ist:

4.2 Der neue Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches sieht für Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr die Geldstrafe (Art. 34 StGB) und die Freiheitsstrafe (Art. 40 StGB) vor. Bei der Wahl der Sanktionsart ist als wichtiges Kriterium die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (BGE 134 IV 97 E. 4.2; 134 IV 82 E. 4.1). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit soll bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft. Im Vordergrund steht daher auch bei Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr die Geldstrafe, als gegenüber der Freiheitsstrafe mildere Sanktion (BGE 134 IV 97 E. 4.2.2; 134 IV 82 E. 4.1). Die Geldstrafe kann auch für einkommensschwache Täter, d.h. für solche mit sehr geringem, gar unter dem Existenzminimum liegendem Einkommen ausgefällt werden (BGE 134 IV 97 E. 5.2.3 und 5.2.4). Das Gericht hat im Urteil die Wahl der Sanktionsart zu begründen (Art. 50 StGB). Der blosse Verweis auf die Schwere des Verschuldens und die Vorstrafen genügt den Begründungsanforderungen nicht (Urteil des Bundesgerichts 6B_289/2009 vom 16. September 2009 E. 2.7.2). [Hervorhebungen durch HZ]
Gestützt auf diese Erwägungen kam das Bundesgericht im konkret zu beurteilenden Fall zum Schluss, dass die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht bei der Sanktionswahl nicht nachgekommen ist. Zudem wird der Vorrang der Geldstrafe ein weiteres Mal hervorgehoben:
4.3 Die Vorinstanz erwägt im angefochtenen Entscheid, die Ausfällung einer Geldstrafe sei angesichts des zu ahndenden Gewaltdelikts, welches von einer erheblichen kriminellen Energie des Angeklagten zeuge, keine schuldadäquate Sanktion. Als angemessene und zweckmässige Sanktion komme ausschliesslich eine Freiheitsstrafe in Frage.
Damit verkennt sie, dass der Geldstrafe entsprechend dem Prinzip der Verhältnismässigkeit auch bei Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr Vorrang zukommt. Dies gilt für sämtliche Deliktsarten. Mit dem Schuldprinzip unvereinbar wäre es, einzelne Deliktsgruppen wie etwa Gewaltdelikte als der Geldstrafe unwürdig zu betrachten, da das Verschulden bereits beim Strafmass zu berücksichtigen ist. Unzulässig ist es daher, eine Freiheitsstrafe anstelle einer Geldstrafe ausschliesslich mit der erheblichen kriminellen Energie des Beschwerdeführers zu begründen. Der angefochtene Entscheid genügt den Begründungsanforderungen nicht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt gutzuheissen. [Hervorhebung durch HZ]

Schlussfolgerung: Bei der Prüfung der Sanktion ist zunächst vom Schuldprinzip ausgehend die Anzahl der Strafeinheiten festzustellen. Anschliessend ist die Sanktionsart zu wählen, wobei der Geldstrafe Vorrang zukommt. Nicht zu vergessen ist, dass mehrere Sanktionsarten gewählt werden können oder unter Umständen gar müssen: namentlich sei die Busse bei Übertretungen erwähnt, welche nebst eines Verbrechens oder Vergehens zu beurteilen ist.

Wann ist das Opfer zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert?

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Das Beschwerderecht wird in Art. 81 BGG definiert. Interessant ist meist die zweite Voraussetzung der Beschwerdelegitimation, mithin das rechtlich geschützte Interesse.

In BGer 6B_765/2009 vom 7.1.2010 ging es um Folgendes: Das Opfer erstattete am 25.2.2009 Strafanzeige gegen den angeblichen Täter, der am 4.3.2009 wegen versuchter Nötigung in erster Instanz schuldig erklärt wurde. Auf Berufung des Verurteilten sprach das Kantonsgericht Schwyz den angeblichen Täter am 16.6.2009 frei und eröffnete das Urteil im Dispositiv. Anschliessend ersuchte das Opfer das Kantonsgericht, das Urteil vom 16.6.2009 zu begründen.

Nach Abweisung dieses Begehrens (u.A. mangels Leistung eines Gerichtskostenvorschusses) gelangt das Opfer ans Bundesgericht, welches auf die Beschwerde in Strafsachen mangels Beschwerdelegitimation nicht eintritt. Mit folgender Begründung: More