Anspruch auf den zweiten Schriftenwechsel?

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In bundesgerichtlichen Verfahren (auch in manchen Verfahren vor kantonalen Gerichten) kommt es häufig vor, dass die beschwerdeführende Partei nach Eingang der Vernehmlassung replizieren will. Art. 102 Abs. 3 BGG hält allerdings fest, dass ein weiterer Schriftenwechsel in der Regel nicht stattfindet.  Es ist unbestritten, dass Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK das Replikrecht als Ausfluss des rechtlichen Gehörs einräumen (BGE 132 I 42 E. 3.3.3 S. 47 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).

Wie soll nun der Beschwerdeführer mit Blick auf Art. 102 Abs. 3 BGG vorgehen, wenn er von seinem verfassungsmässigen Anspruch auf Replik Gebrauch machen will? Ist etwa ein förmlicher Verfahrensantrag zu stellen, wie dies in BGer 4A_446/2009 vom 8.12.2009 der Fall war? Die Antwort ist dem BGE 133 I 98 E. 2.2 S. 99 f. zu entnehmen:

2.2 Gehen in einem Gerichtsverfahren Vernehmlassungen und Stellungnahmen von Parteien und Behörden ein, so werden diese den übrigen Verfahrensbeteiligten im Allgemeinen zur Kenntnisnahme zugestellt. Diese Zustellung kann verbunden werden mit der Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels. Ein solcher wird jedoch nur ausnahmsweise eröffnet (vgl. Art. 93 Abs. 3, Art. 110 Abs. 4 OG, neu: Art. 102 Abs. 3 BGG [SR 173.110]). Ferner kann das Gericht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Eingaben den Verfahrensbeteiligten mit förmlicher Fristansetzung zur freigestellten Vernehmlassung zukommen lassen, was im Bereich des Haftrechts regelmässig der Fall ist. Schliesslich wird eine neu eingegangene Eingabe den Parteien häufig ohne ausdrücklichen Hinweis auf allfällige weitere Äusserungsmöglichkeiten zur (blossen) Kenntnisnahme übermittelt. Kommen Verfahrensbeteiligte, welche eine solche Eingabe ohne Fristansetzung erhalten haben, zum Schluss, sie möchten nochmals zur Sache Stellung nehmen, so sollen sie dies aus Gründen des Zeitgewinns tun, ohne vorher darum nachzusuchen. Nach Treu und Glauben hat dies jedoch umgehend zu erfolgen. Das Bundesgericht wartet bei der letztgenannten Vorgehensweise mit der Entscheidfällung zu, bis es annehmen darf, der Adressat habe auf eine weitere Eingabe verzichtet.

Im erwähnten BGer 4A_446/2009 vom 8.12.2009 hat das Bundesgericht auf den Verfahrensantrag des Beschwerdeführers, es sei ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen, bis zum Entscheid wohl nicht reagiert und schliesslich im Urteil Folgendes bemerkt:

Im zu beurteilenden Fall wurde der Beschwerdeführerin die Vernehmlassung am 19. Oktober 2009 zur Kenntnisnahme zugestellt. Die Beschwerdeführerin hat auf diese Zustellung erst am 6. November 2009 reagiert [Verfahrensantrag]. Unter diesen Umständen besteht – nicht zuletzt mit Blick auf das Beschleunigungsgebot – keine Veranlassung, ihr jetzt noch eine Replikmöglichkeit einzuräumen. [Bemerkung durch HZ]

Schlussfolgerung: Es steht der beschwerdeführenden Partei frei, sein Replikrecht nach Erhalt einer Vernehmlassung auszuüben. Ein Verfahrensantrag ist nicht zielführend. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist zu berücksichtigen: die Replik ist also sofort nach Erhalt der Vernehmlassung einzureichen.

PS: In einem heute veröffentlichten Urteil hat das Bundesgericht in BGer 2C_320/2009 vom 3.2.2010 Folgendes festgehalten:

1.1 Der Beschwerdeführer hat eine Stellungnahme zur Vernehmlassung des Bundesamtes für Kommunikation eingereicht. Da kein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wurde und die darin behandelte Vermietung durch eine Tourismusorganisation gemäss dem angefochtenen Entscheid keine Rolle spielt und auch für die vorliegende Beurteilung ohne Belang ist, wurde die Eingabe den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht zugestellt.
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  1. Hayki
    Oct 29, 2012 @ 17:25:52

    Vgl. BGE 137 I 195 E. 2.3.1

    BGer 1C_521/2011 vom 23.11.2011 E. 2.2

    138 I 154

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