Zivilverfahren: Beweiswürdigung bei unberechtigter Verweigerung der Mitwirkung einer Partei

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In BGE 140 III 264 hielt das BGer in der Regeste Folgendes fest:

Art. 157, 160 und 164 ZPO; Art. 105 Abs. 1 und Art. 97 BGG. Beweiswürdigung bei unberechtigter Verweigerung der Mitwirkung einer Partei. Verbindlichkeit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung für das Bundesgericht.

Es bestehen keine Vorgaben (Art. 157 ZPO), welche Schlüsse der Sachrichter aus dem Umstand ziehen soll, dass eine Partei bei der Beweiserhebung unberechtigterweise nicht mitwirkt.
Die vor Bundesgericht erhobene Rüge, Art. 157 oder 164 ZPO sei verletzt, ändert nichts daran, dass das Ergebnis der vorinstanzlichen Beweiswürdigung für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich ist (Art. 105 Abs. 1 BGG). Voraussetzungen der Anfechtung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen (Art. 97 BGG) und Begriff der Willkür (Art. 9 BV) im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung (E. 2.3).

Bei unberechtigter Mitwirkungsverweigerung handelt es sich also um einen Umstand unter anderen, der in die freie Beweiswürdigung i.S.v. Art. 157 ZPO hineinfliesst (vgl. Rüetschi, Berner-Komm ZPO, N 4 ff. ad Art. 164 ZPO).

Streitwert bei erbrechtlichen Klagen

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In einer erbrechtlichen Streitigkeit gelangte der Beschwerdeführer ans Bundesgericht (BGer 5A_727/2009 vom 5.2.2010) mit folgenden Rechtsbegehren:

  • Das vom Erblasser mit Datum vom 2. September 1988 errichtete Testament für sei ungültig,
  • eventuell die Beschwerdegegnerin für erbunwürdig zu erklären.

Es stellte sich unter Anderem die Frage, wie der Streitwert zu bemessen ist. Der Beschwerdeführer stellte sich auf den Standpunkt, dass sein allfälliger Prozessgewinn massgebend sei (CHF 400′000.00) und nicht der ganze Nachlass (CHF 900′000.00). Seinen Standpunkt hat er wie folgt begründet: Es könne nicht sein, dass für ihn als Kläger ein Prozessrisiko entstehe, das unter Umständen weit über den Betrag hinausgehe, der sein Vorteil im Falle des Obsiegens sein könne.

Das Bundesgericht kommt trotzdem zum Schluss, dass der Wert des ganzen Nachlasses massgebend ist:

4.3 [...] Nach allgemeinen Prozessrechtsgrundsätzen bestimmt sich der Streitwert nach den Klagebegehren und – im Falle unbezifferbarer Ansprüche – nach dem objektiven Wert des Streitgegenstandes (vgl. Hohl, a.a.O, N. 1828-1832 S. 79; Leuch/MarBACH/KELLERHALS/STERCHI, a.a.O., N. 1b zu Art. 138 ZPO/BE, je mit Hinweisen). Dieser objektive Wert darf aber nicht einfach mit dem unmittelbaren Vorteil oder Interesse des Klägers gleichgesetzt werden, sondern kann von der Rechtsnatur der Streitigkeit abhängen.

So richtet sich der Streitwert im Prozess über den Bestand einer Dienstbarkeit nach dem Interesse des Klägers an der Gutheissung seiner Begehren oder nach dem Interesse des Beklagten an der Abweisung der Klage, wobei das betragsmässig höhere Interesse massgebend ist (vgl. BGE 109 II 491 E. 1c/cc S. 492 f.). Der Streitwert im Erbteilungsprozess entspricht dem ganzen Nachlass und nicht dem Erbanteil, der dem Kläger zukommt, wenn der Teilungsanspruch als solcher streitig ist (vgl. BGE 127 III 396 E. 1b/cc S. 398). Die Beispiele liessen sich vermehren (allgemein: BGE 109 II 245 E. 1 S. 248/249), und ein ebensolches durfte willkürfrei im Fall der Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit angenommen werden. Im Unterschied zur Ungültigerklärung einer Verfügung von Todes wegen, die nur zwischen den Prozessparteien wirkt (BGE 81 II 33 E. 3 S. 36), scheidet der für erbunwürdig erklärte – hier: eingesetzte – Erbe mit Wirkung für alle anderen Erben als Erbe aus (vgl. BGE 132 III 315 E. 2.1 S. 317 ff.). Diesen Anteil des – zu Gunsten aller anderen Erben – ausscheidenden Erben der Streitwertberechnung zugrunde zu legen, kann sachlich und damit ohne Willkür mit der Wirkung des Urteils über die Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit begründet werden (vgl. Brückner/Weibel, Die erbrechtlichen Klagen, 2.A. Zürich 2006, N. 107-110 S. 52; zur gleichlaufenden, in der Lehre teilweise kritisierten Gerichtspraxis in Deutschland: ROSENBERG/SCHWAB/GOTTWALD, Zivilprozessrecht, 16.A. München 2004, § 32 N. 58 S. 198, und HELMS, Münchener Kommentar, 2004, N. 6 zu § 2342 BGB, je mit Hinweisen). [Hervorhebungen durch HZ]

Nice to know, aber trotzdem etwas problematisch, insbesondere mit Blick auf Art. 91 Abs. 1 ZPO, wonach allfällige Eventualbegehren dem Streitwert nicht hinzugerechnet werden. Hauptbegehren ist in casu die Ungültigerklärung des Testaments, welche – wie das BGer erwähnt – inter partes wirkt. Erbunwürdigkeit ist bloss eventualiter beantragt worden. Daher ist meines Erachtens der Streitwert nur mit Blick auf die Wirkungen der Ungültigkeitsklage zu bestimmen, mithin auf CHF 400′000.00 festzusetzen.

Dagegen könnte man mit Art. 93 Abs. 1 ZPO argumentieren: Bei Klagenhäufung werden die geltend gemachten Ansprüche zusammengerechnet, sofern sie sich nicht gegenseitig ausschliessen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber bloss um eine eventuelle Klagenhäufung, so dass der Grundsatz von Art. 91 Abs. 1 ZPO vorgeht. Im Falle der Gutheissung des Hauptbegehrens würde man auf das Eventualbegehren nicht eintreten.

Schlussfolgerung: Wahrscheinlich wäre die fremde Prozessfinanzierung eine gute Sache für den Beschwerdeführer (Gerichtskosten = CHF 15′000.00).

PS: Der Fall ist auch mit Blick auf Beweisführung und -würdigung sehr interessant.