Diskussion: Konkurrenz im Strafrecht

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Die Konkurrenzenlehre im Strafrecht ist umstritten und bereitet im Einzelfall oft Schwierigkeiten. Dieser Beitrag bietet die Möglichkeit, diverse Fragen betreffend Konkurrenz zu erörtern.

Vorweg diverse Grundinformationen und Definitionen:

Relevante Bestimmung: Art. 49 StGB (entspricht weitegehend aArt. 68 StGB).

Def. Idealkonkurrenz: Eine Handlung erfüllt mehrere Tatbestände oder mehrmals denselben Tatbetand.

Def. Realkonkurrenz: Mehrere Handlungen eines Täters erfüllen mehrere Tatbestände oder mehrmals denselben Tatbestand.

Def. unechte Konkurrenz: Anzuwenden ist nur ein Tatbestand, obwohl eine oder mehrere Handlungen verschiedene Tatbestände erfüllen. Wann unechte Konkurrenz vorliegt und welcher TB anzuwenden sei, ergibt erst die Auslegung der einzelnen Tatbästende des besonderen Teils. Kriterien dafür: Spezialität, Subsidiarität, Konsumtion.

  • Spezialität: Ein Tatbestand enthält sämtliche Merkmale eines anderen und darüber hinaus mindestens ein weiteres Merkmal (meistens Qualifikation oder Privilegierung).
  • Subsidiär ist ein Tatbestand, der nur hilfsweise angewandt wird, wenn nicht ein anderer Tatbestand greift. Greift der vorrangig anzuwendende Tatbestand ein, tritt der subsidiäre Tatbestand dahinter zurück. Versuch tritt hinter Vollendung zurück; Teilnahme hinter Täterschaft; Beihilfe hinter Anstiftung, das Gefährdungsdelikt hinter das Verletzungsdelikt, das abstrakte hinter das konkrete Gefährdungsdelikt.
  • Konsumtion: Ein Tatbestand wird typischerweise bei der Begehung eines anderen mitverwirklicht und wird durch die Bestrafung aus dem vorrangigen Delikt mitabgegolten. Zum Beispiel Raub konsumiert die einfache Körperverletzung nach Art. 123 StGB oder Raub nach Art. 140 Abs. 4 StGB konsumiert schwere Körperverletzung nach Art. 122 StGB.

Fragestellung: Konkurrenz wirkt zunächst einmal auf die Strafe aus (schärfend oder mildernd). Wie wirkt sie aber auf das Urteilsdispositiv aus?

1. Beispiel: X wurde wegen Raub überwiesen. Den TB des Raubes erfüllt er aber nicht, da er den TB des Diebstahls nicht erfüllt (Sache zwecks Zerstörung entwendet, richtig wäre also Sachentziehung und Sachbeschädigung). Angenommen es erfolgt ein Würdigungsvorbehalt nach Art. 302 StrV. Wie sieht das Urteilsdispositiv aus? Was passiert, wenn Würdigungsvorbehalt ausbleibt?

2. Beispiel: T wurde wegen Geldfälschung und in Umlaufsetzens falschen Geldes überwiesen. Die Tathandlung(en) besteht darin, dass T das von ihm gefälschte Geld verwendet hat. Geldfälschung konsumiert den zweiten TB. Wie sieht das Urteilsdispositiv aus?

3. Beispiel: A wurde wegen Angriff überwiesen. Das Gericht behält sich vor, den überwiesenen Sachverhalt unter dem TB der einfachen Körperverletzung zu würdigen. Es kommt letztlich zum Schluss, dass A der einfachen Körperverletzung schuldig zu erklären ist. Wie sieht das Urteilsdispositiv aus?

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  1. Hayki
    Apr 24, 2010 @ 13:37:48

    Siehe Beitrag von Gian Sandro Genna in recht 4/2008 vom 15.8.2008, S. 144 ff.

    Mit Blick auf Dispo kann man sich Folgendes merken (Grundgedanke: welchen historischen Lebensvorgang urteilt das Gericht?):

    Unechte Idealkonkurrenz: Ein Schuldspruch wegen einer Handlung; – Eventualüberweisung / Würdigungsvorbehalt
    Echte Idealkonkurrenz: Mehrere Schuldsprüche wegen einer Handlung. – mehrere selbständige Überweisungen / Wahrscheinlich Würdigungsvorbehalt

    Unechte Realkonkurrenz: Ein Schuldspruch trotz mehrerer vorgeworfenen Handlungen, welche aber zwingend nur einen Tatbestand erfüllen können; – meist Alternativüberweisung
    Echte Realkonkurrenz: Mehrere Schuldsprüche aufgrund mehrerer gegenseitig nicht ausschliessenden Handlungen. – meist Ausdehnung

    Ad Beispiel 1: X wird schuldig erklärt der Sachentziehung (oder der Sachbeschädigung). Kein Freispruch! Falls Würdigungsvorbehalt ausbleibt, dann wird das rechtliche Gehör des Angeschuldigten verletzt, was zur Kassation führen kann.

    Ad Beispiel 2: T wird der Geldfälschung schuldig erklärt. Kein Freispruch. Stimmt das?

    Ad Beispiel 3: T wird der einfachen Körperverletzung schuldig erklärt. Kein Freispruch!

    Andere Meinungen?

  2. Hayki
    Apr 24, 2010 @ 15:05:55

    Ein Weiteres Beispiel (Diskussion mit Chrigu): Z wurde wegen Diebstahls von einem Radio dem Strafeinzelgericht überwiesen. Das Beweisverfahren ergibt, dass das Radio einen Wert von CHF 200.- hatte. Demnach muss die Verurteilung von Z in Anwendung von Art. 172ter StGB erfolgen. Braucht der Richter einen Würdigungsvorbehalt? Was ist, wenn er ihn vergisst?

    Meines Erachtens gilt Folgendes: Der Richter ist auf der sicheren Seite, wenn er anderweitige rechtliche Würdigung vorbehält. Sollte er dies dennoch vergessen haben, kann eine Verurteilung auch in Anwendung von Art. 172ter StGB erfolgen, denn am überwiesenen Lebenssachverhalt ändert dies nichts. Ganz sicher darf der Richter den Angeschuldigten nicht freisprechen.

    Es ist zu bemerken, was das Ausbleiben des Würdigungsvorbehaltes für Folgen hat: Würdigungsvorbehalt ist ein Ausfluss des rechtlichen Gehörs und bedarf zwecks Wahrung der Verteidigungsrechte. Der Angeschuldigte in diesem Beispiel kann zwar den mangelnden Würdigungsvorbehalt appellatorisch geltend machen, doch wird er mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs kaum durchdringen, weil er aufgrund der Überweisung wegen Diebstahls vom entsprechenden Vorwurfs (historischer Lebensvorgang) wusste. Der Angeschuldigte wird zudem kaum ausreichend darlegen können, dass er seine Verteidigungsrechte aufgrund fehlenden Würdigungsvorbehaltes ungenügend hat wahrnehmen können.

    Ähnlich verhält es sich auch mit jener Situation, wenn der Richter den Angeschuldigten im Falle der Eventualüberweisung wegen beider Delikte schuldig erklären will, weil er – anders als der UR – von echter Idealkonkurrenz ausgeht. In diesem Fall müsste auch ein Würdigungsvorbehalt erfolgen. Doch auch wenn er fehlt, kann ein Schuldspruch für beide Delikte erfolge, denn durch die Eventualüberweisung wusste der Angeschuldigte vom entsprechenden Vorwurf.

    Siehe auch BGer 6P.96/2004 vom 20.9.2004 E. 3, wonach keine formalistische Anwendung des Anklagegrundsatzes notwendig ist. Massgeblich sei vielmehr der Umstand, dass sich der Angeschuldigte im konkreten Einzelfall ausreichend verteidigen könnte (den französischen Entscheid verstehe ich zwar nicht gut, bin aber von der Relativierung des Anklagegrundsatzes nicht fasziniert).

    Siehe auch BGer 1P.461/2002 vom 9.1.2003, E. 2. In diesem Fall ging es um sog. Alternativanklage, wonach sich der ÜB gegen verschiedene Personen richtet, von denen aber einer als Täter in Frage kommt. Dazu hat das BGer Folgendes gesagt:

    “Abstrakt gesehen mögen Fälle denkbar sein, in denen eine alternative Anklage tatsächlich eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte zur Folge haben kann, wenn eine Bestreitung in der einen Hinsicht unweigerlich zu einer Belastung in der andern Hinsicht führt. Dies trifft indessen im vorliegenden Fall nicht zu.
    [...]
    Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, weshalb sich der Beschwerdeführer in Anbetracht der alternativen Anklage auf Brandstiftung oder Anstiftung dazu nicht wirkungsvoll hätte verteidigen können und ihm dadurch ein faires Verfahren verweigert worden wäre.”


    Langer Rede kurzer Sinn, nach BGer gilt Folgendes
    : Auch wenn im Allgemeinen eine Verletzung des Anklagegrundsatzes oder des rechtlichen Gehörs vorliegen würde, spielt es keine grosse Rolle, solange der Angeschuldigte im konkreten Fall seine Rechte ausreichende wahrnehmen konnte.

  3. Andy
    May 07, 2010 @ 09:56:10

    Also, nachdem ich mir jetzt auch mal die Konkurrenzen zu Gemüte geführt habe, und wir diverses schon miteinander besprochen haben, hier noch etwas von mir:

    1. Bei Beispiel 2 bin ich also nicht überzeugt, dass ein Freispruch für das in Umlaufsetzen des falschen Geldes ausbleiben kann. Hier handelt es sich doch um 2 selbständige Überweisungen. Und was überwiesen wird, muss ins Dispo.
    Zwar bin ich persönlich auch der Meinung, dass hier nicht freizusprechen ist, kann es aber anhand der mir bekannten Regeln gerade nicht begründen. So tell me…

    2. Was das hier angeht:

    “Ähnlich verhält es sich auch mit jener Situation, wenn der Richter den Angeschuldigten im Falle der Eventualüberweisung wegen beider Delikte schuldig erklären will, weil er – anders als der UR – von echter Idealkonkurrenz ausgeht. In diesem Fall müsste auch ein Würdigungsvorbehalt erfolgen. Doch auch wenn er fehlt, kann ein Schuldspruch für beide Delikte erfolge, denn durch die Eventualüberweisung wusste der Angeschuldigte vom entsprechenden Vorwurf.”

    Da sind wir in der Nähe des Beispiels Schändung vs. sexuelle Handlung mit Kind, wenn sich z.b. der ER eine a.r.Würdigung vorbehält. Meines Erachtens OK.

    –> Das Obergericht war aber offenbar nach Aussage Maurer der Meinung, dass bei der Schändung eine weitere “Handlung” dazutritt (was er leider nicht näher ausführte), was zur Rückweisung an den ER (–>musste ausgedehnt werden auf Schändung) führte.

    So, mal sehen wie lange eine Antwort auf sich warten lässt! ;)

  4. Andy
    May 07, 2010 @ 10:41:12

    Und gleich noch einmal ich zu Beispiel 2:

    Jetzt weiss ich woher das Beispiel kommt, nämlich von Seelmann, AT, 4. Aufl. 2009, S. 171:

    “T fälschte mit Hilfe eines Kopierers mindestens 1945 500-Frankennoten im Nominalwert von Fr. 972′500., um sie als echt in Umlauf zu bringen. Danach versuchte er erfolglos, dem A falsche Banknoten im Nominalwert von 940000 zum Preis von 150000 zu veräussern und verkaufte sie schliesslich für 70000 an B, der sie aber infolge seiner Verhaftung nicht mehr in Umlauf bringen konnte”.

    Jetzt ist interessant, was Seelmann schreibt:

    “Dieser Fall führt vor Augen, dass das Verhältnis von 240 und 242 StGB umstritten ist. Während Stratenwerth den Art. 242 durch 240 konsumiert sehen will, beschränkt die Rechtsprechung die Konsumtion auf den unbeendeten Versuch des Inumlaufsetzens, (BGE 119 IV 162 ff) und nimmt im übrigen echte Konkurrenz an. Da es sich bei der Fälschung von Geld aber nur um ein noch in der Rechtssphäre des Täters geschehenes Gefährdungsdelikt in Bezug auf die Verletzung von Art. 242 handelt, müsste eigentlich 240 subsidiär zu 242 sein. Wegen der höheren Strafdrohung für 240 StGB ist aber im Ergebnis Stratenwerth zuzustimmen.”

    Also, vorab ist festzustellen: Das simple Schreiben liegt Seelmann nicht sonderlich.

    Weiter ist nun aber erstellt, dass entweder Subsidiarität (wobei noch umstritten ist, welcher TB vorgehen soll), Konsumtion oder ECHTE KONKURRENZ angenommen werden kann.

    Das bedeutet: Das Problem, dass wir nicht wissen, ob ein Freispruch kommen muss oder nicht, umgehen wir einfach damit, indem wir sagen, das Bundesgericht nehme hier echte Konkurrenz an, und verurteilen wegen beidem.

    Schön, nicht wahr?

  5. Hayki
    May 09, 2010 @ 14:17:11

    ad Seelmann: einverstanden

    ad 240 und 242 StGB: einverstanden mit Blick auf Anwaltsprüfung (einfach und lösungsorientiert!); Zudem leuchten die Ausführungen des BGer ein. Doch in der Praxis wird das nicht immer so einfach gehandhabt. Darüber müssen wir uns aber nicht unterhalten. Es genügt (für die Prüfung) zu merken: Geld fälschen, d.h. bspw. herzustellen, ist eine andere Handlung als das hergestellte Geld in Umlauf zu setzen. Somit liegt eine echte Realkonkurrenz vor.

    ad Schändung vs. sexuelle Handlung mit Kind: Mit Würdigungsvorbehalt bin ich eher einverstanden, als mit Ausdehnung. Denn am historischen Vorgang, nämlich an der Handlung als TBE, ändert sich nichts. Eben diese Handlung wird dann auch letztlich bestraft. Wie das rechtlich gewürdigt wird, ist eine Rechtsfrage. Allein die Sachverhaltsfrage, ob das Opfer urteilsunfähig war, vermag daran nichts zu verändern.

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